Mai 24
4.Mai
in Ocaña
Gerade habe ich WLAN im Rathaus von Ocaña. Hier arbeitet Rosy, die Leiterin der Pfarrgemeinde hier in Ocaña. Hier bin ich seit Samstag, 4.5.. Ein Ort, 50 km von Nasca entfernt , aber 3 Stunden Weg in die Berge. Ein wunderschönes Bergdorf, mit einer schönen Plaza und Kirche und einem leeren Pfarr“Haus“, in dem ich wohnen kann. Es steht leer, daher ist es etwas verwahrlost, aber hat Strom, Wasser und eine Kochstelle. Der letzte Gast hat die Pfanne mit Öl stehen lassen und die ungespülten Tassen und Teller auch. Als ich sauber machen will, kriecht die Spinne aus dem Spülltuch, wo sie Unterschlupf gefunden hat. Aber es hat einen Kühlschrank und ich habe wenigstens Internet Empfang, wenn auch kein wifi.


Als der Minivan mich absetzt, der mit halsbrecherischem Tempo wie vom Teufel verfolgt die Schotterpisten hinaufgerast ist, kommt schon Rosaly, die Nachbarin von Rosy und begrüßt mich. Ein kleines Dorf. Da hört man sofort, wenn ein Auto hält. Ich erfahre, dass Rosy heute nicht mehr kommt, weil sie bis in die Nacht zu einem Workshop außerhalb ist. Bekomme aber ein Mittagessen gebracht und kann den Ort erkunden. So ist das hier. Ich habe mich an diese Eigenverantwortung inzwischen gewöhnt. Der Ort hat eine gute Aura und gesprächsbereite Menschen. Paulino, ein 50 jähriger Nachbar, lädt mich auf einen Kaffee in seine Hütte ein und erzählt bald vom Tod seiner 90 jährigen Mutter, die im November verstorben ist. Ich merke, wie er, alleinstehend, unter der Einsamkeit leidet. Ein bisschen vielleicht Muttersohn ohne Mutter.


Ich suche den nächsten Tante Emma Laden und decke mich fürs Frühstück ein. Eine nette alte fast zahnlose Señora bedient mich, alles gibt es nur frisch und unverpackt. Butter am Stück, Käse ebenso. Sie kann laut lachen, als ich den Kaffee nicht finde, der vor meiner Nase hängt. Lachen verbindet. Tomaten und Obst kommen erst Mittwoch aus dem Ort Ica. Und sie schreibt jeden Artikel mit Preis auf und rechnet zusammen. Und nach dem nächsten Teil rechnet sie wieder die Summe aus. So geht es bis ich alles zusammen habe. Das nenne ich auf deutsch: uneffektiv. Auf peruanisch: Entschleunigung.

Ich bin versorgt und erwarte den Sonntag. Um Rosy kennenzulernen und ihren Sonntagsgottesdienst. Sie hatte zuvor angedeutet, sie freue sich, wenn ich mit den Kindern einen Chor „gründe“ und mit den Schülern in der Schule Kontakt aufnehme. Immerhin Aussichten auf konkrete Aufgaben. Veremos, wir werden sehen.
Während ich den Ort wahrnehme und die freundlichen Menschen - jeder grüßt und will wissen, woher ich komme. obwohl ich immer wieder erkläre, dass meine Frau und vier Kinder zuhause in Alemania sind, werde ich als Padre angesprochen. Sei s, drum. es ist ein Dorf mit vielleicht 100 Einwohnern, wie jemand mir sagt. Das Internet spricht von 170, im ganzen Distrikt von 2000. Aber es ist Dorf und jeder grüßt und winkt und läßt sich auf ein Quätschchen ein…


Reflexiver Einschub: ich versuche immer mehr, die deutsche Aufgaben- und Effektivitätsmentalität mit der peruanischen Entschleunigung zu verbinden. Sicher bin ich hergekommen, um meine Zeit und meine Fähigkeiten anzubieten. Aber Norbert sieht das Projekt als Angebot, Peru von innen kennenzulernen. Dazu dient die kirchliche Plattform und der Kontakt zu den verschiedenen Dörfern und Gemeinden. Als reiner Tourist mit einem Programm aus dem Reisebüro, würde ich mich nicht mit Josimar, Camelia, María und den andern Kindern heute zum Spiele- und Singenachmittag treffen. Und wenn ich also irgendwo unterstützen kann gleich auf welche Art, ist das gut, - wenn ich nur da bin und schaue, ist das auch gut: Entschleunigung. Außerdem steht für mich diese Zeit in Peru unter der Überschrift “Friedensarbeit”. Einander kennenlernen, Unterschiede wahrnehmen, anerkennen, wertschätzen und leben lassen. Kirchlich - politisch - menschlich. Auch wenn nicht alles schön und vorbildlich ist, was ich hier kennenlerne. Aber es ist unser gemeinsamer Planet.
8.Mai
Besuch in Laramate

Da ich in Ocaña tagsüber in dieser Woche frei bin (die Schulverpflegung startet erst wieder nächste Woche) , nutze ich den indischen Pickup der Pfarrei und besuche das Nachbardorf Laramate auf 3040 m Höhe. Eine gute Fahrstunde entfernt für Einheimische. Ich brauche etwas länger. Es ist meine Jungfernfahrt über Bergstraßen mit Abgründen statt Leitplanken und Kühen oder Eseln statt Fußgängern. Ich habe sogar keinen Gegenverkehr und so fährt es sich easy.



Laramate liegt wirklich sehr schön in den Bergen. Ist ein ebenso kleines Dorf wie Ocaña, mit vielleicht 500 Einwohnern mehr. Mitten drin die Kirche an der Plaza. Und hier gibt es sogar einen Padre Miguel. Ein junger Mann aus Columbien, der durch die freundschaftliche Beziehung zum Bischof Reinhard (s.o.) in dessen Prälatur nach Peru gekommen ist. Ist erst seit kurzem Sacerdote und erst seit März hier im Ort. Ich glaube, er hat sich nicht auf meinen Besuch gefreut, weil er noch am Morgen meiner Kontaktperson in Ocaña, Rosy, eine WhatsApp geschickt hat, er sei heute auswärts unterwegs. Ich fahre trotzdem hin, weil ich Auto fahren und einen Ausflug machen will. Als ich ankomme und frech nach dem Padre frage, kocht er sich gerade sein Mittagessen - und lädt mich freundlich dazu ein.


Wir kommen gut ins Gespräch über den Ort, die kleine Gemeinde und dass er jeden Tag zwei Misas hält. Wieviel Leute denn kommen? Nicht mehr als zwei oder drei. Ob er sich auch über die Misas finanziert, frage ich nur mich. Er teilt meine Ansicht, dass die Peruaner sehr priesterfixiert seien, zudem die peruanische Kirche recht konservativ sei. Wenn ich allerdings seinen weißen Priesterkragen anschaue, gehört er wohl auch eher zu der konservativen Fraktion. Irgendwann ebbt das Gespräch ab. Da bin ich der, der mit seinen Fragen das Gespräch in Gang halten will. Immerhin höre ich die gleiche Antwort wie in Atico, dass die Peruaner an dem europäischen Krieg nicht sonderlich interessiert sind. Ihr Überleben und die politische Korruption brennen ihnen mehr unter den Nägeln. Auch bestätigt er den Eindruck, das die Peruaner eher zurückhaltend und verschlossen sind (bitte nicht alle!). Ich will mich nicht aufdrängen, zumal Padre Miguel ständig aufs Handy und die Uhr schaut, aber Miguel lädt mich ein auf einen Spaziergang durch die wunderschöne Umgebung von Laramate und zeigt mir den nächsten Aussichtspunkt mit Blick auf das langgezogene Tal.



Unterwegs bricht das Gespräch völlig ab. Da er ständig WhatsApps zu schreiben scheint, will ich mich nach dem Rückweg verabschieden. Aber er fordert mich auf, auf Theobaldo, einen Katechisten zu warten, der mit mir zu den Thermalquellen spazieren wird. Nach 10 Minuten kommt Theobaldo, und zu meiner Überraschung gehen wir zu dritt den kurzen Weg zu den warmen Quellen. Jetzt lebt Miguel wieder auf und sprudelt nur so heraus im Gespräch mit Theobaldo, begrüßt wortreich den Alcalde, den Bürgermeister, der uns über den Weg läuft. Und in 10 Minuten sind wir an den warmen Quellen, wo eine Frau ihre Wäsche wäscht und zwei Peruaner ein Fußbad in den warmen Quellen nehmen.


Padre Miguel und sein Begleiter Theobaldo erscheinen in keiner Weise unfreundlich. Zeigen mir, wo unter einem Fels das warme Wasser hervortritt und dass es wohl aus unterirdischen Vulkanquellen erwärmt wird. Später eröffnet mir Theobaldo die Technik, wie man stachelige Tunas pflückt und schält. Eine süße Frucht, die - gekühlt - eine köstliche „refresca“ bedeutet. Aber auch frisch gepflückt eine Delikatesse.

Zurück am Pfarrhaus, vorbei an Eseln und auch an einer Kuhherde, schreibe ich am Abend noch ein Dankeschön per WhatsApp, das Miguel auch herzlichst erwidert. Aber schlau geworden bin ich aus der Begegnung nicht. Einerseits kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser intellektuelle Ästhet lange als Dorfpadre aushält. (Im Juni soll er nach Oyolo gehen, wo wir die Woche vor Ostern verbracht haben, d.h. noch mehr Dorf und Abgeschiedenheit). Wer weiß, welche Pläne er für seine Karriere im Kopf hat. Warum erzähle ich diesen Ausflug? Weil ich im Moment nicht viel anderes zu erzählen habe, aber auch, weil es einen kleinen(!) Einblick gibt, wie der Alltag in einer Gemeinde hier aussieht. Ich habe gar nicht zu fragen gewagt, welche Projekte der Padre hier im Ort favorisiert oder welche Ziele er sich gesetzt hat (oh, deutsche Frage!?). Dass es nicht viele Kinder und Jugendliche in der Gemeinde gibt, konnte ich herausbekommen. Und dass sie meist den Ort verlassen, wenn sie das Colegio beendet haben. Und dass der Padre viele Messen hält. Es wird sicher oder hoffentlich noch mehr geben. Aber ein paar Fragen hätte ich doch noch gehabt.
Als ich geschafft von der Bergfahrt „zuhause“ gerade mein Bier aufgemacht habe, rufen die Kids „Harty“,“Harty“. Es ist 17:00 und heute vergessen sie es nicht: unsere Singe- und Spielerunde. Die drei Mädchen haben noch vier Jungen im Schlepptau, die sie aber gar nicht dabei haben wollen. Ich vertröste die Jungen auf eine halbe Stunde später, aber dann sind sie weg und kommen nicht wieder. Die Mädchen machen schnell ihre eigenen Regeln und schließlich hat jede von ihnen drei Mal gewonnen. Und weil ich natürlich der letzte bin, lassen sie mich auch noch mal gewinnen…Und wollen am Schluß wenigstens noch ein Lied singen. Das kriegen wir gut hin! Na ja, dann bis morgen! Mal sehen, wer dann alles dabei ist.

Noch ein Gruß aus dem Alltag: gestern fiel das Leitungswasser im ganzen Dorf aus (Dienstag war es das Internet). Aber Rosaly informiert mich, der Brunnen an der Plaza liefere agua limpiado, sauberes Wasser. Zum Glück finde ich einen Eimer in meiner „Hütte“ und kann wenigstens die Klospülung sichern. Rasieren am nächsten Tag geht auch noch. Dann kommt Rosy am Morgen und verkündet, dass das Wasser wieder da sei. Und ich solle schnell den Hausmüll zur Straße bringen, der Müllwagen komme heute. An der Straße kommt lautstark hupend der Müllwagen an: ein Pickup voll mit schwarzen oder blauen Müllsäcken. Schnell draufgeworfen, festgedrückt, damit die Säcke nicht wieder runterfallen, und weg sind die Müllmänner.

Heute ist Donnerstag, 9.5. , Vatertag und Feiertag in Alemania weg. Christi Himmelfahrt. Hier nichts von beidem.
Heute ist es mal kühl. Der Tag beginnt mit 13 Grad und das Thermometer schafft bis zum Nachmittag auf 19 Grad. Aber in der Sonne ist es warm. Ich wandere auf die Höhe und pflücke Sanquis, die runden Früchte der Kakteen. Total gesund, reich an Nährstoffen und bitter wie Zitronen. Dazu natürlich stachelig wie Kakteen. Ich hab ja gestern eine Pflück-Technik gelernt. Aber die Stacheln sind trotzdem nachher überall.



Um 16:30 sind heute die Kids da. Ich glaube, jetzt ist das Eis gebrochen oder das Vertrauen geschaffen. Zu fünft spielen wir und singen wir. Allein die Namen erzählen Geschichten: Camila, Dayana, Lucero (ein Mädchen), Valentina, Yariely, Yoselyn. Ich erlebe die Mädchen recht sozial, sorgen füreinander, spielen miteinander. Natürlich mit Rivalitäten. Jede will gewinnen.Und schnell merke ich, dass Camila gern die Führung übernimmt und Lucero heute etwas scheu und traurig wirkt. Sie will auch nicht aufs Foto.
Heute gehe ich anschließend mit den Kids nach Hause, bzw. gehe ich einkaufen. Auf dem Weg gewinne ich alter Sack das Wettrennen die steile Straße hinauf. Dann wollen die Kinder deutsch lernen. Und schließlich laufen 5 Kinder durchs Dorf und rufen jedem zu: Gute Nackt! Gute Nackt! Jetzt kennt mich das halbe Dorf und ich kenne einige Kids und Jugendliche mehr. Morgen kommen vielleicht mehr zum Treffen. Da muss ich mir andere Spiele überlegen.
Freitag, 10.5. - Heute sind am Ende 7 Kinder dabei.

Singen auf der Plaza. y cantan las prados - bei Kindern in Oyolo wie auch hier der Schlager Nr.1.



Ich bin beeindruckt vom Sozialverhalten der Kinder. Sie übernehmen Verantwortung füreinander. Außerdem zeigen sie eine Natürlichkeit und Ausstrahlung, die sich deutlich von Essener Kindergruppen, die ich kenne, unterscheidet. Aber es ist vielleicht auch Erziehung und Bildung. Die Kinder bilden aus den bunten Yenga-Steinen verschiedene Flaggen. Nicht dumm. Das Leben im Dorf schirmt auch sicher viele Einflüsse ab. Bei diesen Kids sehe ich kein Handy, ob sie Fernsehen haben zuhause? Wenn, nur mit 5 Lokalprogrammen. Mal was Positives, das diese Abgeschiedenheit hier mitbringt.
Heute Abend steht der Ambulanzwagen vor dem Centro de Salud, eine Krankenstation, die im Ort angesiedelt ist. Mit Polizei und einem SUV. Ich sehe auf meinem Abendspaziergang einen recht verzweifelten jungen Mann vor dem Centro auf und ab gehen. Rosy berichtet mir, auf der Zufahrt zum Dorf sei ein Motorrad (mit zwei Brüdern) und ein SUV zusammengestoßen. Beide Motorradfahrer haben sich dabei einen Beinbruch zugezogen und müssen im zwei Stunden entfernten Ica weiter behandelt werden. Gedrückte Stimmung. Bergstraßen konfrontieren immer wieder mit Leben und Tod. Wie umsichtig die Fahrer waren, kann ich natürlich nicht beurteilen. Es ist wie es ist.

12.Mai
Día de la madre - Muttertag
Das ist schon interessant, dass sich diese Einrichtung international durchgesetzt hat. Die Kids machen ihren Müttern ebenso kleine Geschenke wie bei uns. In der Schule wird sogar der Montag freigemacht. Das ist aber eher den Ansprüchen der Lehrer geschuldet, die eben auch ihre Mütter besuchen. Und da die Lehrer im Ort wohnen, aber einige Stunden weit weg ihre Familien haben, brauchen sie den Tag frei für die Fahrt nach Hause. Die Kids erzählen locker, was für Geschenke sie vorbereitet haben, aber das geht mir zu schnell. Und dass die Eltern tagsüber aber auf dem Feld sind und nicht viel Zeit zum Feiern bleibt. Ich lasse also das Sonntagstreffen ausfallen, was einigen Kindern aber gar nicht passt. Dafür sehe ich sie aber in der Misa, da alle dorthin kommen zum singen.

Lucero macht gern das Foto, damit sie nicht aufs Bild muss. Auf dem Bild sind: v.l.n.r:
Josimar (10), Yariely (7), Ich (69), Maria (12), Camila (8), Camila (9), Valentina (6). (Lucero (10), die Fotografin. (Dayana -8- fehlt heute)
4 Misas am Sonntag
Nein, nicht mit mir - nur der Padre. Ich bin um 7:00 bereit, in der Sonntagsmesse Gitarre zu spielen. aber niemand ist da, außer mir und dem Padre Miguel (der aus Laramate). Rosy, die Verantwortliche im Dorf, kommt verspätet und telefoniert dann alle ihre Kontakte ab. Schließlich sind um 7:30 6 Kinder da und ca 10 Erwachsene und es kann losgehen. Die Kinder haben einen Riesenspaß, Lieder zu singen. Sie suchen sich schon selbst ihre Lieblingslieder heraus und fangen an. Es ist beeindruckend. Obwohl ich ja nur die frommen Misa-Lieder zur Verfügung habe, singen sie über Jesus, Sünden, Fiesta und Brot und Wein, was das Zeug hält. Nun sind allerdings auch die lateinamerikanischen Kirchenlieder etwas schmissiger als die deutschen. Hier gibt es nicht die strenge Tradition die lutherischen oder barocken Kirchenlieder. Das macht das Singen leichter und unterhaltsamer.
Peruanisch spontan: Als Padre Miguel merkt, dass das Singen mit meiner Gitarrenbegleitung ganz nett ist, engagiert er mich für seine nächste Misa um 10:00 in „San José de Tomate“, ein Bergort, eine Stunde entfernt. Ich nutze das für einen schönen Sonntagsausflug und lerne neue Gesichter, interessante Menschen und eine tolle Landschaft kennen. Allerdings, singen können diese Leute in „Tomate“ nicht. Und Padre Miguel kann nur laut, aber nicht richtig. Schließlich erbarmt sich die Katechetin, schnappt sich das Mikro und singt kräftig vor.


Die Kirche ist nur im Rohbau fertig geworden, immerhin mit Dach! Eine völlige Fertigstellung ist nicht zu erwarten. Wer weiß, wer vor 7 Jahren die Idee hatte, diese Riesenkirche zu bauen…Aber bisher habe ich hier in den Dörfern nirgendwo soviel Kirchenbesucher gesehen.



Anschließend hat der Bürgermeister nicht nur für alle Mütter ein Mittagessen ausgegeben. Muttertag in Peru! Darum bleiben alle noch gemütlich auf der Plaza sitzen und warten.

Als wir um 14:00 zurück sind, sind wir reif für die Siesta. Bergfahrten haben es eben in sich, trotz Chauffeur, der den Padre heute herumfährt. Um 16:00 hält der Padre in unserem Dorf Ocaña seine 3.Misa an diesem Sonntag und die 2. in dergleichen Kirche in unserem Dorf (jetzt für die verstorbenen Mütter am Muttertag!), und fährt um 18:00 nach Tiracanchi, wieder eine Stunde weiter zu seiner 4.Misa. Da begleite ich ihn aber nicht mehr. Mir reicht es an Misas für heute.
Wenn ich die langen Listen der Verstorbenen sehe, für die er in jeder Misa beten soll, d.h. die laut mit Namen verlesen werden müssen, wird mir klar, dass der Padre heute Geld verdienen muss. Für ihn ist dieser Sonntag echt Arbeit. Jede „Intention“, jedes Gebet für einen Toten bringt ihm neue Einnahmen. So sehe ich z.B. Rosy, wie sie am Ende des Gottesdienstes in Ocaña von den Teilnehmern die Scheine einsammelt. - Das ist mir total fremd und abwegig, macht mich auch aggressiv im Blick auf die kommerzielle Vermarktung von Spiritualität. Aber dazu lasse ich mich jetzt nicht schon wieder aus. Ich bin Gast in diesem Land.
Das Internet verlässt uns hier ab und zu. Zwei Tage war es weg, dann wieder für eine Stunde da. Ohne Internet wird man zum Mönch oder Eremiten. Oder findet soziale Kontakte auf der Straße.
15.Mai
Schulverpflegung in Ocaña
Eigentlich war ich wegen der Schulverpflegung nach Ocaña gekommen. Die Caritasgruppe Ocaña organisiert für Schüler*innen ein Frühstück und ein Mittagessen. Ca. 8 Jugendliche, die aus den Nachbardörfern kommen und einen Fußweg von 40 - 60 Minuten haben, werden hier verpflegt. Sie kommen ohne Frühstück hier an, bekommen einen warmen gesüßten Hafersaft (nicht mein Fall, ab er Lisset tut mir etwas weniger Zucker rein, dann ist es erträglich) und eine Suppe, Nudeln oder Brötchen mit Spiegelei. Mittags gibt es Suppe und ein Hauptgericht (immer mit Reis). Wobei mir die SDuppe schon reichen würde. Aber ich lerne hier, wie man mit viel frischem Gemüse, Fleischeinlagen (Hühnerfüße und Knochen) Suppen herstellt.
Nachdem ich eine Woche hier war, beginnt das Projekt endlich heute am 15.5.. Ich soll um 6:00 bereitstehen. Schluß mit Faulenzen und Urlaub.

Der „Comedor“, mit angrenzender Küche. Essensraum für die Schüler*innen direkt an der Kirche. Düster und eher renovierungsbedürftig. Sonst der Gemeindesaal und Treff für Besprechungen und Workshops.


Roselly, die Mitbegründerin des Projektes, und Lisset, die neu engagierte Köchin. Da fast immer die Babies dabei sind und auch schon mal stören, helfe ich als Babyflüsterer aus, statt Kartoffeln zu schälen.


Die kleine Maria del Carmen von Rosally bei mir, der kleine Gael Isaías auf dem Arm der Schwester Massiel.
Der 1.Tag Comedor in diesem Schuljahr entpuppt sich als Kurs in peruanischer Entschleunigung:
Der Start geht voll in die Hose - nach meiner deutschen Einschätzung. Um 6:00 bin ich allein vor dem Comedor, niemand da, Lisset mit dem Schlüssel auch nicht. Als sie dann kurz nach halb sieben noch nicht aufgetaucht ist,(um 7:00 sollen angeblich die Schüler kommen) melde ich mich bei Rosy, die noch im Schlafanzug ist. Dann erscheint sie um 6:45 Lisset mit Rosaly.
Aber als erstes muss der tragbare dreifach-Gasherd erst mal vom Vorratsraum (da waren wir doch gestern abend noch) rüber geschafft werden in die Küche. Dann stellt sich heraus, dass nicht genug Gas da ist. Das reicht gerade für das Frühstück. Auch fehlen die Brötchen und können nicht zeitig geliefert werden. Im Lauf des Vormittags fällt dann noch das Wasser aus und ich hole zwei 20 L Eimer Wasser vom Brunnen. Nach dem Mittag ist der Abfluss im Spülbecken verstopft und ich nehme alle sanitärmäßigen Erfahrungen zusammen und hole 2 Gabeln, Spaghettis und Unrat des letzten halben Jahres aus dem Syphon.
Außerdem hatten sie mich erst am Vorabend(!) engagiert, mit dem Auto die Einkäufe zumachen: 50 kg Zucker, 50 kg Reis, usw. Um 20:30 hatten wir alles in den Vorratsraum geschafft. -
So läuft in Peru Entschleunigung. Ich hätte den Start in die Verpflegungssaison eine Woche vorher begonnen, alles überprüft und zurechtgestellt. Aber ich bin nicht Peru. Hier wird erst im Augenblick das getan, was getan werden muss, es gibt dann eben Tallarines=Spaghetti mit Thunfisch und geriebenen Möhren zum Frühstück mit dem üblichen Hafersaft.Geht doch.

Als erstes war der Lehrer, el profesor, erschienen. Christian, ein freundlicher, offener Lehrer für Sozialkunde, aus Nasca. Er geht schnell ins Gespräch, ist neugierig über Deutschland, natürlich Bayern München Fan, und hat bis auf den Regenwald Peru bereist. Will sofort wissen, welche Länder der Welt ich schon bereist habe. Offensichtlich würde er auch gern die Welt sehen, wenn das Geld reichen würde. Auch das IPhone ist im 2.Satz Thema. Und die bekannte Frage: was es denn in Alemania kosten würde. In Peru kostete es 6000 Soles (2000 €). In den USA wäre es wesentlich billiger.
Die Schüler der Secundaria, des Colegios hingegen hüllen sich in pubertäres Schweigen. Gibbeln, reagieren nicht auf meine Ansprache, tun , als ob ich eine völlig andere Sprache als Spanisch rede. Fangen mit englischen Vokabeln an, die sie aber auch nicht können. Es braucht Zeit. Am nächsten Tag, der Lehrer ist nicht dabei, mache ich einen 2.Versuch. Da erzählen sie mir, dass sie als Fremdsprachen Quechua und Englisch lernen. Quechua ist die Sprache der Region und auch ihrer Eltern. Aber ich merke, hier fällt der Kontakt nicht so leicht wie bei den Kids der Primaria, der Grundschule. Am Ende der Woche ist alles schon vertrauter. Aber dann sind meine 2 Wochen hier um.
Übrigens sitzen die Schüler*innen der Grundschule gegenüber im Comedor der Stadt. Ich spreche mit der Köchin von drüben und kann ihr Spanisch überraschend gut verstehen (im Gegensatz zu dem von Lisset und Rosally). Offensichtlich finanziert der Staat den Grundschülern das Frühstück und Mittagessen aus staatlichen Mitteln. Die Schüler der Secundaria werden von der Initiative der Caritas versorgt und müssen einen Beitrag von tgl. 4,50 Soles (1,20 €) zahlen. Der Rest wird über Norberts Caritas ergänzt.


Lisset Fiorella Hualacca Inca ist es wert, ihr ein paar Zeilen zu gönnen. Sie ist meist mit ihren drei Kindern hier. Den kleinen Gael Isaías (7 Mon.) hat sie meist auf den Rücken gebunden. Den muss ich ihr dann manchmal abnehmen. Massiel, die 7 Jährige, (s.o.) und Bellaluz (4 Jahre, rechtes Bild) kümmern sich oft um den kleinen Bruder. Lisset ist offen bis offensiv. Sie schreit mich immer an, weil auch sie den Unterschied zwischen hören und verstehen nicht schafft. (Die meisten denken, ich höre schlecht, wenn ich ihr Spanisch nicht verstehe.) Schnell fragt sie mich aus über Familie, Frau und Kinder. Will wissen, was man in Alemania isst und vieles mehr. Dann erfahre ich, dass sie, 33 jährig, bereits auf dem Bau gearbeitet und keine Probleme habe, schwere Töpfe und Eimer zu schleppen. Dann denke ich, Kochen ist wahrscheinlich nicht ihre Hauptprofession. Ich sehe sie häufig am Telefon, holt sich von der Schwester Tipps für die Portionen und sonst was. Ich helfe ihr, ein Huhn zu zerhacken und Knoblauch zu schälen. Manchmal ist sie plötzlich weg, um nach den Kindern zu sehen oder noch ein paar Kräuter zu pflücken. Alleinerziehend und daher auf einen Nebenjob angewiesen, den sie mit den Kindern bewältigen kann. Mal sehn, wie lange das klappt. Ich bin jedenfalls froh, dass sie mit mir redet und keine Scheu vor dem Gringo hat.

Am Nachmittag kommt nur Yariely zum „Kindertreff“. Da gehen wir einfach die fehlenden Kinder besuchen und finden sie auf dem Sportplatz bei der Vorbereitung auf das Sportfest. Etwas weiter ist offensichtlich eine Art Scheune von den Eltern von Josimar, Camila und Maria. In den Räumen sehe ich nur Mais und anderes Gemüse auf dem Boden lagern. Aber die Eltern und die Kids treffe ich dort an. Auf der Höhe mit dem schönsten Blick auf die Stadt und das Tal.


Die Mutter lässt sich auf ein Gespräch ein , der Vater bleibt im Haus (versteckt). Sie haben Wasser im Haus, aber kein Licht hier meint sie. Und denkt wahrscheinlich nur hier an die SCheune. Ihr Wohnhaus haben sie unterhalb im Dorf. Fernsehen hätten sie keins und auch kein Handy. Sie leben vom Acker und was der Boden hergibt. Sie ist die erste, die realisiert, dass ein Padre doch nicht Frau und Kinder haben kann. Oder geht das schon ? Ich finde sie aufgeweckt und offen und versuche zu erklären, warum ich in Peru bin.
Die Kinder machen einen sehr glücklichen und selbstsicheren Eindruck. Josimar holt sofort die Gitarre heraus, die der Onkel einmal geschenkt hat. Ich bringe ihm noch einen 2.Griff bei, den er aufsaugt. Und dann singen wir bei dem wunderbaren Abendlicht. Die Mutter hat statt eines Fotos ein Video gemacht, aber ich spiele es ich nicht ein bei einer derart verstimmten Gitarre und einem ebenso verstimmten Gesang. Aber es hat Spaß gemacht!

Heute sind die Straßen voll mit alten Leuten. Überall sitzen sie vor den Häusern und am Platz. Außerdem steht ein gepanzerter Geldtransporter auf der Straße, direkt vor der Bank. Die Polizei ist auch vor Ort. Was ist los? Auf Nachfrage höre ich, dass heute die Auszahlung der Pensionen für die Adultos Mayores, die Senioren stattfindet. 100 Soles, 25 Euro bekommen sie für einen Monat. Da immer zweimonatlich ausgezahlt wird, also 200 Soles. 4 Brötchen kosten 1 Soles, ein Käsestück (handtellergross) 8 Soles, ein Mittagsmenue 10 Soles, Tabletten in der Botica (Apotheke) 1 Soles das Stück. Kleine Tube Salbe aber schon 15 Soles, eine bestellte Misa 20 Soles. Also mit 100 Soles kommt man nicht weit, erst recht nicht über einen ganzen Monat.

Und zum Schluß des Tages: Kinder, Kinder, Kinder. Rechts mit einem selbstgebastelten Spiel.




Camila 2 und. Yariely

Heute gehe ich spazieren und warte nicht auf die Kids. Da kommen sie von irgendeinem Ausflug aus den Bergen mit dem „Dorfbus“. Er fährt gerade durch das Flüsschen und kommt mir entgegen. Mit dem „Bus“ werden Umzüge, Transporte und eben auch Ausflüge gemacht. Da hätten unsere Stadtkinder in Deutschland auch Riesenspaß. Josimars Stimme höre ich, wie er „Padre,Padre“ ruft. Und alle Kinder rufen mit und ich klatsche ihre Hände ab.

Abschied aus Ocaña
Ich habe mich entschieden , am Montag nach über 14 Tagen Ocaña zu verlassen, um Norbert noch zwei Tage sprechen zu können, bevor er nach Lima fährt und wir uns vier Wochen nicht sehen. Das habe ich Rosy am Donnerstag mitgeteilt, und mir scheint, am Abend wissen es alle, auch meine Kids. Ich werde zwar gerade warm mit den Sekundarschülern, aber ich könnte mir vorstellen, die nächsten freien Wochen wieder hier zu verbringen. Rosy reagiert einladend und fragt sofort, wann ich denn wiederkomme. Ich bin also willkommen.
Mir kommt zwischendurch die Idee, ob ich in meinen letzten Tage hier nicht noch jemand finde, der mir zeigt, wie man peruanische Kartoffeln zubereitet, hier „Papas rellenas“, gefüllte Kartoffeln genannt. Ich frage Rosy und sie nennt mir Roselly, die Initiatorin des Comedors, die mich für 12 Uhr am nächsten Tag bestellt. Dann kommt aber über Nacht alles anders. Ich wundere mich, dass Lisset am Freitag soviel Kartoffeln kocht und meint, heute gebe es im Comedor „Papas rellenes“. Roselly kommt selbst und hat noch Fabiana aus der Caritasgruppe engagiert. Sie alle arbeiten mit vereinten Kräften an meinem Wunsch. Ich kann gerade ein paar Kartoffeln mit Messer und Gabel pellen (Lisset nimmt die heißen Papas aus dem Topf und pellt sie alle mit der Hand - ohne ein Messer!), dann mache ich wieder den Babyflüsterer, halte aber alles im Foto fest und darf auch zwischendurch probieren. Das Ende vom Lied: Roselly hat mir die Papa rellenes zum Abschiedsgeschenk gemacht und hält beim Essen mit den Schülern eine kleine Dankesrede für meinen Aufenthalt hier und sagt auch den Schülern, dass es heute auf meinen Wunsch hin Papas gebe. Ich bin gerührt und finde kaum spanische Worte, um mich zu bedanken.


Es waren übrigens zwei Hunde in der Küche. Der andere liegt unter dem Waschbecken (nicht im Bild).





Natürlich habe ich mir das Rezept gut gemerkt. Das Problem ist ja, den Kartoffelteig leicht und doch fest zu bekommen, dass er in der Pfanne nicht auseinanderfällt. Ob das Geheimnis die peruanischen Kartoffelsorten „Papa roja oder blanca“ sind ? Oder dass der Teig mit peruanischen Frauenhänden geknetet werden muss ? Da will ich mich nicht festlegen. Natürlich hatte die Füllung auch die bekannten Rosinen dabei mit roten Zwiebeln, Möhren und Hühnchenstückchen. (Nichts ohne Hühnchen in Peru).
Ich hätte noch eine Soße dazu serviert, aber da sind die Peruaner etwas trocken.
Eigentlich dachte ich, jetzt ist genug zu Ocaña geschrieben. Aber der letzte Samstag Abend ist ein Erlebnis der besonderen Art. Ich brauche nicht um 6:00 zum Comedor, es ist ja keine Schule, also auch keine Schulverpflegung. Ich habe frei und mir meinen Tag gut eingeteilt und freue mich auf die Kids am Nachmittag. Ich möchte mit ihnen die Lieder für die Misa am Sonntag (Pfingsten)singen und habe vor, sie mit ein paar Ideen zu überraschen.
Aber ist ist 17:00 und eigentlich sind sonst die ersten um 16:15 schon da. Aber niemand kommt.Ich bin nicht traurig, nur überascht. Also plane ich um und gehe etwas einkaufen für den Abend und das Frühstück.
Aber was ich vorfinde, sind leere Straßen und ein ausgestorbenes Dorf. Folgende Bilder zeige ich also nicht als Abend-Idylle, sondern als erschreckende Leere.

Die Straßen, die gestern um diese Zeit voller Kinder und Leben waren, sind heute ausgestorben. Auf einer Anhöhe grunzt ein Schwein und auf der Straße treffe ich nur die Hunde an. Außerdem 2-3 alte Leute sowie 2 Borachos, Betrunkene. 2 Türen sind offen, der Laden der alten Dame, die mich am ersten Tag freundlich bedient hat und das auch heute tut. Und eine Tür, die von zwei Hunden bewacht wird und hinter der sich ebenfalls eine alte Dame befindet. Auf der Straße spreche ich eine Seniorin an, die gerade in ihre Casa gehen will. Ja, es sei schon eigenartig, so allein auf der Straße zu sein. Ich frage, warum das Dorf so leer und ausgestorben sei. Ja, sagt sie, alle seien auf der Fiesta in Buenavista, arriba in den Bergen. Dort sei heute Fiesta mit Rodeo. (Ob Rodeo ein Stierkampf ist, werde ich morgen herausfinden.) Ich erinnere mich, dass Rosy und Roselly davon erzählten, dass sie am Wochenende fort seien. Aber den genauen Grund habe ich in ihrem schnellen Spanisch nicht verstanden.



Ich bin nicht unzufrieden, aber ich mache mir meine Gedanken. Was geht in den Köpfen von Rosy, Roselly oder den Kindern vor? Wobei die Kinder die wenigste Übersicht über die Pläne ihrer Eltern haben. Rosy bedauerte noch, nicht mehr Zeit für mich aufgebracht zu haben in den 2 Wochen. Aber die Idee, mich zu der Fiesta mitzunehmen, kommt nicht vor. Kein Vorwurf, nur Gedanken. Ehrlich. Was ich an diesem Tag Schönes gemacht habe, werde ich noch verraten. Aber erst mal wird wieder deutlich, dass ich nicht dazugehöre. (Heute verletzt mich das gar nicht!) Und dass ich als Gringo, reicher Europäer, „Gesandter“ von Padre Nikolai außen vor bin. Mir fällt auch auf, dass ich von niemandem in den zwei Wochen (außer am ersten Tag von dem depressiven Muttersohn) in seine Casa eingeladen worden bin. Myriam bestätigt eine ähnliche Erfahrung aus Ecuador. In dem einen Jahr damals ist sie nur einmal von Belén, einer guten Freundin aus gutsituierten Verhältnissen eingeladen worden (zufällig als wir auch da waren). Vielleicht ist es auch die Vorsicht vor dem Unterschied zwischen europäischem Wohlstand und der eigenen bescheideneren Wohnsituation. Am letzten Tag werde ich jedoch von Roselly auf ihre „Terrasse“ mit Naturlehmboden eingeladen und freundlich mit Kaffee, Keksen, Käse und Obst bewirtet. Ich lasse es so stehen - und genieße diese verlassenen Straßen und die Idylle, die das Dorf in seiner Abendbeleuchtung kurz vor dem Sonnenuntergang hergibt.

Ich will noch verraten, was den Tag dann doch glücklich ausgefüllt hat: geistig - die Telefonate mit lieben Menschen und das Einüben der Gesänge für den Pfingsttag morgen. Körperlich - habe ich mich aber auch betätigt: habe mich des „Jeeps“ der Gemeinde angenommen. Schon am ersten Tag fiel mir diese total verdreckte, verschlammte und ungepflegte Kiste auf. Hatte die Tage bereits Rosy gefragt, wo im Dorf eine Autowaschanlage mit Ölabscheider und wiederaufbereitbarer Wasseranlage zu finden sei😏. Sie hat mich auf das kleine Flüsschen verwiesen, wo alle Autobesitzer des Dorfes (4-5) ihre Autos waschen. Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt Greta Thunberg und Luisa Neubauer als Leserinnen verliere und viele andere umweltbewußte Freunde, gestehe ich, dass ich mit dem „Jeep“ in die Flußfuhrt gefahren bin und die 99% Schlamm und Sand von dem indischen Mahindra entfernt habe. Habe bewußt auf eine Unterbodenwäsche verzichtet. Es war mein Danke schön an die Gemeinde dafür, dass ich mit dem Wagen die Bergstraßen nach Laramate testen durfte. Außerdem war es eine erfrischende Angelegenheit, mit den Füßen im Wasser die Erdklumpen vom Auto entfernen zu können. Für manche Erdklumpen musste ich einen flachen Stein aus dem Wasser nehmen und des festgebackenen Schlamm abklopfen. (Die Eimer waren überflüssig). Ich bitte den Fluß um Entschuldigung und bin überzeugt, dass wirklich nur Erde und Sand in das Wasser gelangt sind.😔


Montag, 20.05.24.
Zurück nach Nasca
Nach über zwei Wochen Eremitage zieht es mich zurück in eine etwas luxuriösere Umgebung. Die Einfachheit der Unterkunft war erträglich, die Abende ohne die westlichen Ablenkungsangebote und die sprachliche Einschränkung der Kommunikation hatten schon etwas Eremitenähnliches. Dagegen hatte die Atmosphäre des Ortes, der Landschaft und das Klima auf 2400 m Höhe eine eigenartige Anziehungskraft, die sich bis in den klaren Sternenhimmel der Nacht hinzog. Der kleine Fluß, der sich durch das breite Bergtal schlängelte, gab dem Ganzen eine eigene Lebendigkeit. Und die 2 stündige Rückfahrt durch diese Berglandschaft bot hinter jeder Serpentine ein neues Bild, das einfach beeindruckend war. Das ist auch Peru! Unterwegs das Muttertier, hinter dem ein schwarz weiß gechecktes Lämmchen hinterherhoppelte, oder der Mopedfahrer, der auf seinem Rücken, zwischen den Riemen seines Rucksacks ein Schaf transportierte - das waren Eindrücke, die den Abschied versüßten.


Aber auch das ist Peru: Unzuverlässigkeit , Unverbindlichkeit, geringe Verantwortlichkeit. Auch mit diesen Un-Werten habe ich Bekanntschaft gemacht. Vielleicht sind sie manchmal der Preis für die Entschleunigung und die lockere Haltung dem Leben gegenüber. Ich erspare mir die Beispiele dafür und möchte sie hier nicht verewigen.
Aber dann werde ich wiederum durch einen kleinen Engel, der mir am Abend auf der Straße barfuß entgegenkommt, beschenkt. Der Engel heißt Luciana und ist die Schwester von Varielly.

Trotzdem war der Abschied sehr herzlich. Rosy und Roselly haben sich erneut bedankt. Ich frage mich wofür - für zwei Wochen, die aus 60 % Urlaub und Freizeit bestanden? Oder ist das die Wertschätzung, dass ein reicher Gringo zwei Wochen in ihrem armen Dorf mit ihnen lebt, die Abgeschiedenheit von der luxuriösen westlichen Welt in Kauf nimmt, mit den Kindern singt und spielt und sich nicht zu schade ist, Kartoffeln zu pellen oder Babies zu hüten? Mag sein. Ich kann es gar nicht einschätzen. Mir erscheint es nicht so „effektiv“ , um mit dem deutschen Wertbegriff zu arbeiten. Was es den Menschen hier bedeutete, kann ich nur erahnen. Mit einer hautnahen Umarmung und einem weiteren kleinen Geschenk werde ich entlassen mit der Perspektive wiederzukommen.
Mit dem Lehrer Christian konnte ich am Morgen einen Termin vereinbaren, an dem ich mit Myriam, meiner „Profesora por español y religión“ im Juli sein Colegio in Ocaña besuche und sie zusammen eine Unterrichtsstunde gestalten. Dann werden wir auch eine Nacht im Dorf verbringen.

Erholung in Nasca

Ich schreibe von Erholung, da mein Körper mir nach den zwei Wochen in den Bergen signalisiert, dass ich mal gut auf mich hören soll. Eine Gastritis ärgert mich und insgesamt freut sich mein Körper auf Ruhe. Das habe ich auch dadurch gemerkt, dass ich am gestrigen Donnerstag kurzfristig eine Sanddünentour gebucht hatte mit ein paar jungen deutschen Schülern aus Bonn, die ich Dienstag kennengelernt hatte. Nur wußte ich nicht, dass wir nach der einstündigen Autofahrt morgens um 4:00 noch 3 Stunden Aufstieg vor uns hatten, um dann von 2800 m Höhe eine halbe Stunde wieder runterzurutschen. Der Aufstieg hat mich an die Grenzen gebracht und der Abstieg nach der Rutschpartie dauerte auch noch 2 Stunden. Als dann weder meine Beine noch mein Kopf mitmachen wollten, wußte ich, ich brauche eher Erholung als gerade neue Herausforderungen. Der Ausblick war natürlich eine Entschädigung und das Wandern im Wüstensand. Aber ich hätte es gern mit mehr Energie und Kraft genossen.



Und ein Blick auf Nasca von oben:

Jetzt bleiben mir hier im Haus in Nasca noch 5 Tage ohne Termine. Am Haus ist eine große Baustelle, weil hier 5 Pavillons gebaut werden für spätere Workshops und Treffen der Prälatur. Spannend, wie die Arbeiter ohne Bagger und schweres Gerät, ausschließlich mit Körperkraft und der Betonmischmaschine arbeiten. Außerdem hören wir den ganzen Tag peruanische Huayno-Musik oder aber auch Techno, je nachdem, wer gerade das Radio bedient.

Das ist der Platz, auf dem Norbert am 5.4. noch seine Gäste zum Geburtstag bewirtet hat. Hier haben inzwischen die Betonmischer gearbeitet und die Fundamente gegossen, die Schweißer die Gestelle fürs Dach zusammengebaut, die Trockenbauer die Gestelle für die Wände erstellt. Und der Aushub für die Fundamente passierte natürlich per Muskelkraft. Alles wurde koordiniert vom freundlichen Abél, der übrigens das ganze Caritashaus hochgezogen hat. Aus diesem ersten Gestell hier entstehen vier Häuser, besser Zimmer. Zwei Zimmer teilen sich ein Bad. Das Ganze dient den Treffen der Verantwortlichen der Prälatur Caraveli. Später sollen hier ganze Gruppen Unterkunft finden. Allerdings fehlt jetzt unserm Hund Benjamin der Auslauf. Er wird immer unruhiger und unberechenbarer. Kann seinen Spieltrieb, den er an den Katzen auslässt, zwar noch kontrollieren, aber wie lange? Vermutlich müssen wir für ihn ein neues Zuhause suchen.






Gestern habe ich mit Jesús eine Erfahrung mit dem Gesundheitswesen in Peru gemacht. Jesús ist gehandicapt durch eine Leukämieerkrankung mit Folgen für seine Lunge (Asthma). Gestern hatte er einen Asthmaschub verbunden mit bronchialen Symptomen und wir sind zum Hospital zur Behandlung gefahren. Das, was wir als Ambulanz bezeichnen würden, gilt hier als Krankenhaus. Anmeldung mit Eintrag in ein großes Buch (nicht digital), Vorlage des Personalausweises (DNI Nummer des Ausweises hat jeder Peruaner auswendig im Kopf) und Warten auf den Arzt. Da bei ihm die Blut- und Urinergebnisse ins Labor gingen, mussten wir eine Stunde auf die Ergebnisse warten. Dann verschrieb der Arzt Infusion und verschiedenste Medikamente. Die mussten in der klinikeigenen Apotheke vom Patienten besorgt und bezahlt werden. Dann warten, dass die Pflegekraft, die die Infusion anlegt, frei ist. Sie hatte die Geduld und Langsamkeit mit der Muttermilch inhaliert. Andererseits hat sie die Nadel gut gesetzt und das will bei dem Chaos rundherum eben mit Ruhe gemacht werden.


Dafür hang in jedem (!) Behandlungsraum ein Bild vom barmherzigen Jesus, auf den die Patienten vertrauen sollten! Außerdem achte auf die geschickte Methode, um die Infusion zu setzen: Man nehme einen Einweghandschuh und knote ihn um den Oberarm… (Die Uhr ging übrigens 1 Stunde nach und mancher Stuhl im Behandlungsraum war mit Klebeband notdürftig repariert. Der Staat investiert offensichtlich nicht in die Gesundheit. Zumal, wie ich höre, die Ärzte hier nicht sonderlich gut bezahlt werden. Hochachtung vor dem sichtlichen Engagement! Ich bin fachlich sehr gut behandelt worden und Jesús auch.)

Dann bekam Jesús ein Bett, auf dem zuvor 100 andere gelegen hatten (ohne neuen Schutzbezug) und blieb dort 1,5 Stunden bis zum Ende der Infusion. Da wir seit 11:00 dort waren, musste er bis zum Ende hungern. Um 18:00 war er fertig. Immerhin wurden die Behandlungskosten vom Staat getragen, weil alles zur Basisversorgung gehört. Da ich auch noch eine Ergänzungsspritze gegen Tollwut benötigte, bekam ich diese zwischendurch freundlich verabreicht - ohne dass ich zur Kasse gebeten wurde. (In Deutschland habe ich dem Apotheker 80 € bezahlen müssen. Das hätten sie dem Mann aus Alemania mit Zusatzversicherung bequem abnehmen können. Nein, nichts ist passiert.) Dagegen muss Jesús ´ Mutter im Heimatort Cañiete die Tabletten für ihre Gürtelrose (150 Soles am Tag x 14 Tage) (500€) selbst finanzieren, da sie nicht zur Grundversorgung gehören… Und Samstag musste sie einen Tag in die Klinik, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte: 600 Soles für einen Tag (150 €). Und selbst Norbert zahlt in Lima für die Gürtelroseimpfung stolze 890 Soles, also ca 220 €. Peru bleibt ein Geheimnis.

Es ist Mittwoch, 29.5.24. Um 21:30 geht mein Bus nach Cusco.Ankunft 12:30. Bis dahin: Hasta luego.
Nach Einer 15 stündigen Nachtfahrt mit dem Luxusbus Cruz del Sur lande ich in einer anderen Welt:
In Cusco wird gerade die Fiesta zum heiligen Kreuz geFeiert. Mucha gente, Massen an Menschen schieben sich durch die engen Gassen, und alle Heiligenfiguren, die man auftreiben kann, werden durch die Straßen getragen. Ich fühle mich wie in einem falschen Film. Es gibt Modegeschäfte, Kunstgeschäfte, alles wirkt europäisch angehaucht. Keine Flair von der Einfachheit von Nasca oder der Armut von Ocaña. Peru hat so viele Gesichter. Und doch: vielleicht hilft mir das, mich auf die andere Welt einzustellen, aus der Christiane morgen Abend kommt.






Im Tunupa haben wir uns von Nieves, unserer Tourorganisatorin, für Samstag einen Tisch bestellen lassen. Christiane ist am Freitag ohne Flugturbulenzen heil angekommen, allerdings auch ohne Koffer. Den muss die Airlines LATAM jetzt vermutlich irgendwo auf dem Airport in LIMA suchen…

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Kommentare
Hallöle! Ich war für einige Tage im extrem nahrhaften Osten. Ich hoffe es geht Dir besser und Christiane hat ihren Koffer. Danke für die Bilder und die Schilderung der Eindrücke.
Hallo, ihr Zwei,
Es bereitet mir große Freude, deinen Blog zu verfolgen, Hartwig. Toll geschrieben und sehr interessant.
Ich wünsche dir eine ganz tolle Zeit mit Hartwig und mit Land und Leuten, Christiane. Schön, dass du den langen Flug gut überstanden hast.
Das mit deinem Koffer ist ja echt blöd. Ganz liebe Grüße nach Peru, Puppa
Lieber Hartwig, ich wünsche Dir und Christiane eine wundervolle Zeit in diesem Land voller Wunder!
Den Wechsel der Wirklichkeiten und Welten in Peru kann ich Dir gut nachempfinden!
Hoffe, es geht Dir gut und freue mich, wenn Du noch Eindrücke und Begegnungen aus dem neuen Monat mitteilen kannst. -
Todo lo mejor para ti en las próximas semanas.
:-)
Ge
Eintauchen in eine andere Welt, in eine bestürzend großartige Natur, in Bilder vom Leben der Menschen, das so anders ist als das unsrige, so berührend bodenständig, so unsagbar fern unserer Konsum - und ex- und - hopp - Mentalität. Neben aller von Dir sanft geäußerten Kritik tut das Lesen Deiner Beiträge und das Schauen Deiner wundervollen Bilder doch einfach gut.
Liebe Grüße aus dem Sauerland.
Ruhe?! Ach Hartwig, ich glaube Du kannst gar nicht anders. Dabei entstehen aber wieder phantastische Aufnahmen. Danke! Und jetzt wirklich Ruhe!
Lieber Hartwig,
Der erste Versuch dir zu schreiben ist gerade gescheitert, ich probiere es nochmal.
Nach dem Bundesweiten Männertreffen bin ich noch erfüllt von den intensiven Begegnungen, die in unserer deutschen Welt auch schon exotischen Charakter haben. Da fällt mir dein Erleben, Gringo, Gesandter, den die Peruaner nicht an sich ranlassen schon auf. Interessant fände ich mal zu erfahren, welche Erfahrungen sie mit dem Gringo haben und ob das in einer Großstadt anders ist.
Gestern Abend habe ich ein längeres Gespräch mit Jonas aus Berlin geführt und ich sol dich herzlich grüßen.
Ich werde mich heute mal um einen neuen Termin für unsere Männer kümmern, damit wir uns mit dir mal wieder verbinden können.
Viele liebe Grüße Martin
Kommt die Kartoffel nicht sogar aus Peru?
Ich habe Dir ja schon geschrieben. Wollte mich nur nochmal kurz melden, damit Du weißt, dass ich wieder auf dem aktuellen Stand bin.
Und es bleibt dabei: die Gesichter der Kinder und die Landschaftsaufnahmen sind toll.
Die Frage, was die Leute dort von einem halten, würde mich auch beschäftigen. Ich glaube aber auch, dass die Begegnungen gegenseitige Gelegenheiten sind. Bei mir kommt das so rüber.
Lieber Hartwig, das sieht lecker aus! Und Du hast Recht: hier bei uns fällt so ein Kartoffelpuffer gerne auseinander.
Vielleicht hast Du ja mal Lust zu fragen, wie die Frauen dort Kartoffelsalat machen. Bei Fernando aus Trujillo gab es in Berlin Kartoffelsalat mit Erdnüssen oder Erdnussmus.
Liebe Grüße von uns aus dem Sauerland!