Juli 24

Lunes, 01. de Julio 24

Juli klingt für mich schon ganz anders. Da schwingt schon das Ende mit: noch 2 Monate. Norbert fragt heute, ob ich verlängern wolle. Da sag ich ihm schon, dass ich mich auch auf Zuhause freue. Aber nach den letzten Erholungstagen hier kann ich positiv nach vorn schauen und freue mich auch auf neue Erfahrungen.

Typisch Peru - spontan und ganz anders

Ich beginne mit dem Hund, unserem Benjamin, dem „Pastor alemán“ wie die Rasse hier genannt wird. Er sollte nach der Rückkehr von Norbert aus Lima heute abgeholt werden. Er findet hier nicht genug Auslauf und wird immer aggressiver in seinen Spielen: er fasst nach jeder und  jedem mit seinen Zähnen, am Arm, an den Fesseln - wenn auch ohne zuzubeißen. Die Katzen sind schon ganz feucht von seinem Speichel, weil er sie immer am Nacken fasst. Es sieht gefährlich aus. Also heute sollte er nach Cusco. Nieves hat eine Hacienda mit viel Platz und Auslauf. Im Gegenzug sollte einer ihrer kleinen Hunde zu uns kommen.

Änderung 1: Norbert lädt Jesús ein, mit dem Fahrer nach Cusco zu fahren und dort eine Woche Urlaub zu machen. Fahrgelegenheit nutzen, um Cusco und Machu Pichu zu besichtigen. Jesús kann sich drauf einlassen. Sonntags abends um 21:30 entscheidet er sich, nachts um 3:00 für eine Woche nach Cusco zu fahren. Typisch Peru! Aber man muss dazu sagen, dass es ein heißgeliebter Wunsch von Jesús war, auch einmal auf Machu Pichu zu sein. Als Peruaner muss man dort gewesen sein. Und Norbert ermöglicht ihm diese Reise, zumal sie für Peruaner wesentlich preiswerter ist als für ausländische Touris.

Inzwischen ist die neue Hündin, „Bella“ aus Cusco angekommen. Jesús hat sie ausgesucht und sie ist eine schmusige kleine Prinzessin. Ob sie auch bellen kann, frage ich mich.

Änderung 2: Im Telefonat mit Nieves stellt sich heraus, dass Nieves es nicht übers Herz bringt, ihre zwei Hunde zu trennen. Nein, Norbert muss sie beide nehmen. Sonst stirbt einer der beiden Hunde an Herzschmerz. Also werden wir, wenn die beiden aus Cusco zurückkommen, 2 Hunde bei uns aufnehmen. Typisch Peru - spontan und aus dem Bauch heraus. Ob die beiden Hunde hier genug Platz haben werden, ob sie mit den beiden Gatos, Katzen, klarkommen - das wird schon. Immerhin sind es kleinere Hunde. Änderung 2b nach einem Tag: der deutsche Verstand setzt sich durch und Jesus bekommt den Auftrag, einen der beiden Hunde auszusuchen, der am besten hierher passt. Sollte das nicht möglich sein, verzichten wir auf zwei Hunde. Ergebnis: Jesús hält den Jüngeren der beiden für geeignet, sich hier mit unseren zwei Katzen anzufreunden. Nieves bringt es doch übers Herz , die beiden Hunde zu trennen und die schöne „Bella“ (s.o.) soll Montag hier eintreffen…, falls es nicht noch eine Änderung gibt.

Männermachogruppe oder auf Priesterdeutsch: Dekanatstreffen.(Dekanat ist ein Distrikt innerhalb der Diözese)

Leider habe ich es versäumt, ein Foto zu machen vom Mittagstisch mit den 8, nein 10 Priestern, die Norbert heute zu Gast hatte. Vielleicht ist es aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes besser so, diese illustre Runde nicht zu veröffentlichen. 2 polnische Männer, die jetzt in Ocaña arbeiten, wo ich zwei Wochen gewohnt habe. Polnische Männer („Priester sind ja auch Männer“), die spanisch sprechen mit polnischem Akzent und polnische Witze machen („statt Messwein würde einer auch gern Wodka nehmen“). Aber Camille ist der erste, der sich für meine Kochkünste bedankt und mir beim Spülen helfen will. (Er sagt auch zu, dass ich mit Myriam kommen und bei ihnen wohnen kann, wenn sie die Schule in Ocaña besuchen will.) Dann drei Männer aus Coracora. Der Chef von ihnen kommt demonstrativ 45 Minuten zu spät. Es passt zu seinem Gehabe. Er hat es nur 10 Minuten bis zu uns, kommt aber als letzter. Er hat dafür gesorgt, dass mein nächster Einsatz in Coracora ausfällt. Zwar hatte sein Kollege Norbert zugesagt, dass ich willkommen sei, aber er hat es leider nicht mit dem Alphatier abgesprochen. Sodaß ich gestern abend hörte, dass ich wegen Umbauarbeiten im Pfarrhaus derzeit nicht willkommen sei. (Änderung 3!). Dann kommt Tomasino. Er hat den weitesten Weg aus Puquio. Dort habe ich auch schon 4 Tage gewohnt. Er ist heute der erste und umarmt mich zur Begrüßung selbstverständlich. Er bleibt auch am längsten. Ihm muss mein Essen wohl gut geschmeckt haben. Apropos Essen: ich habe mich stark gemacht, für die Mannschaft zu kochen, damit Norbert mit ihnen ohne Unterbrechung zusammen sein kann. Ich zaubere Spaghetti Carbonara nach dem Rezept meines italienischen Freundes Fiore. Es gelingt hervorragend. Ein bisschen pikante, aber das passt zu Peru. Postres: Crepes mit Banane, Honig und Eis. Ich könnte Crepemaker werden. Nach 10 Crepes hab ich’s raus. 

Übrigens habe ich nach Norberts Angaben für 12 eingekauft. Gekommen sind 8 von erwarteten 9. Als alle fertig waren und ich mich ans Spülen machte, kam John, der 9. und brachte noch einen mit, sodaß ich alles schnell für 10 Personen verlängert habe. Ich kam mir vor wie der Hauskoch einer Männermachogruppe, die gewohnt ist, bedient oder bekocht zu werden. Norbert muss ich hier ausnehmen: er hätte sicher gern selber gekocht. Aber ich war nicht unzufrieden. Habs gern gemacht und war stolz auf mich.

Ein wichtiges Thema des og.Treffens darf ich hier veröffentlichen: der Bischof von Caraveli, der hiesigen Prälatur oder Diözese, Rinaldo, ein Deutscher aus Freiburg,  hat heute bekanntgegeben, sein Bischofsamt  mit 62 Jahren aufzugeben. Ich habe ihn bereits hier im Haus und auch bei einem Workshop in Puquio kennengelernt. Ein seltener Vorgang, zumal er damit verbunden ist, dass Reinhold sich zu seiner depressiven Erkrankung bekennt und mit seinem Rückzug erst einmal für ein halbes Jahr in eine deutsche Klinik oder  Behandlung geht. Respekt und Hut ab. Danach will er zurück nach Peru - aber in einer anderen Rolle. Warten wir’s ab. Persönliche Hintergründe gehören hier nicht hin, aber was ich weiß, kann ich gut nachvollziehen. Eine mutige Entscheidung im Sinne der Selbstfürsorge.  Für die Männerrunde oben natürlich ein wichtiges Thema: wer wird der Neue Bischof. Tomasino verabschiedet Norbert, indem er ihm auf seinen Bauch schlägt und sagt: dann bis zur Bischofsweihe! - Aber da habe ich keine Sorge. Die Bischofsmütze ist für Norbert keine Versuchung. 

Bleibt noch offen, was an die Stelle von Coracora tritt. Ich habe noch bis zum 14.7. Zeit, bevor ich nach Lima fahre, um Myriam am 17. abzuholen. Bis dahin bleibe ich erst mal hier und „vertrete“ Jesús. Besuche den „Comedor“ der Senioren, die Mittagsverpflegung für alte Menschen hier in Nasca, suche einen Spanischlehrer,  fahre mit Norbert in die hiesigen Thermalbäder und lerne weiter die peruanische Fähigkeit der „Entschleunigung“. (Immerhin sagt mir Norbert, ich sei ein Aktivist, müsse immer etwas tun, könne nie einfach mal einen Tag nichts tun…) Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. - Aber es gibt auch langfristige Pläne: der Besuch eines Heimes für Körperbehinderte in Cajamarca, nördlich von Trujillo. Die Kontakte werden wir in diesen Tagen auffrischen und einen möglichen Besuch vorbereiten (, wenn ich Myriam wieder nach Lima gebracht habe) - verbunden mit dem Kennenlernen des peruanischen Nordens.

Gato „Yang“ hilft beim Entschleunigungsprogramm. Er scheint mich zu mögen, wo er doch anfangs völlig gefremdelt hat. Vielleicht hat er es aber auch nur raus, sich bei jedem Streichel- einheiten zu holen.

Martes, 03. de Julio 24

Heute hat Norbert Viktoria Nikitzki zum Frühstück eingeladen. Sie stammt aus dem Universum, wie sie sagt, und meint, sie spricht kein deutsch, obwohl sie aus Dresden kommt. Meint, sie spreche russisch, worauf ihr Nachname hindeuten könnte. Auf Fragen nach ihrem Leben oder einfach nach dem Wunsch einer weiteren Tasse Kaffee lächelt sie, äußert sich aber nicht. (trinkt aber 3 große Tassen Cappuccino). Beim Frühstück langt sie kräftig zu und ist eine dankbare Esserin. Wer ist sie wirklich: Eine enge Freundin von Maria Reiche und in der kleinen Broschüre von M.Reiche über die Nasca Linien steht sie als „Schülerin und Freundin“. Ja, sie lebt aus dem Leben und der Verbundenheit mit Maria Reiche, die Nasca durch ihre Forschungen über die Nasca Linien, die in dem Buch als gleichbedeutend mit den ägyptischen Pyramiden bewertet werden, berühmt gemacht hat. Norbert weiß von einem Besuch bei ihr Zuhause, dass sie ziemlich verwahrlost lebt und überhaupt nicht für sich und ihre Häuslichkeit sorgen kann. Sie lebt mit den Katzen zusammen, die ihr zulaufen. (Und von ihr haben wir auch Yin und Yang, die zwei gatos in unserer Casa.)  Mir fallen ihre schwarzen Fingernägel auf und ich vermute, dass Norbert recht hat, was ihre Verwahrlosung angeht. Für den Besuch bei ihm/uns, hat sie sich ordentlich zurechtgemacht. Aber wie es unter dem Hut aussieht, weiß ich auch nicht. Eine interessante Erscheinung. Immerhin habe ich eine (ostdeutsche!) Freundin der berühmten (ostdeutschen!) Maria Reiche kennengelernt. Aber die offensichtlich nach dem Tod von M.R.(1998) keinen eigenen Lebensinhalt mehr gefunden hat.

Widmung in dem Büchlein über die Nasca-Linien.

Die Rückseite des Büchleins aus der Zeit, als man noch für die Linien werben musste. In dieser Zeit ist Viktoria wohl stehen geblieben.

Senjorenmittag in San Francisco, Nasca

Norbert vermittelt mich zum „Comedor“ San Franscisco in Nasca. Es ist eine fromme Initiative, die von Franziskanerschwestern (,die inzwischen nicht mehr vor Ort sind,) ins Leben gerufen und mit Mitteln aus spanischen  Spendergemeinden finanziert wird. Dass diese Angebote für viele alte Leute, liebevoller genannt: adultos mayores, lebensnotwendig sind bei ihrer kleinen Pension, habe ich schon in Atico und Caravelí beschrieben. Hier ist das Mittagessen völlig kostenfrei, sodaß in der Regel bis zu 20 Senjoren kommen oder das Essen abholen. An der Gestaltung des Gebäudes merkt man schon das europäische  Geld, das hier großzügig und ansprechend verbaut worden ist. Das Haus hat einen eigenen Gemüse- und Obstgarten und einen schönen Innenhof. Der Comedor, Speisesaal, ist schön gefliest und ansprechend gestaltet, die Küche großzügig und sauber.

Teresa, die Verantwortliche, die mit ihrem Mann im Haus nebenan wohnt,  nimmt mich freundlich auf und fragt mich Löcher in den Bauch, fordert mich auf, den Leuten das Essen zu servieren und das Tischgebet zu sprechen, was ich aber ablehne. Das können die Peruaner besser als ich. Als sie mich nach der Zahl meiner Kindern fragt und ich mit meinem Alter 69 antworte, kann sie schallend lachen. Mit ihren 40 Jahren hat sie eine einladende, offene Art und scheut sich auch nicht auf meine Gegenfrage ehrlich zu antworten, dass sie leider keine Kinder bekommen könne. Sie bittet mich, von den Hühnerfüßen, den Patitas, die Haut abzuziehen, was ich gut machen kann aber mit meinem Versprechen, dass ich diese Dinger nicht essen werde (wieder Gelächter).

Die Senjoren sind offen und erzählen schnell, von der Trauer um ihren verstorbenen Bruder oder von ihrem Job in Brasilien. Viele sind über 80 Jahre alt, was mich wundert bei der Armut und ungesunden Lebensweise in Peru. Neben Carlos (,seinen Namen erfahre ich später,) sitze ich, aber er nimmt mich überhaupt nicht wahr und redet nicht mit mir. Später weiß ich, warum: Terese bittet mich, ihn nach Hause zu begleiten,  er sei nämlich seit zwei Jahren blind. Kein Wunder, dass er mich nicht wahrgenommen hat. Ich lasse mich auf das Abenteuer ein, ihn nach Hause zu begleiten. Denn ich weiß überhaupt nicht, wo er wohnt. Und Terese sagt auch nur, er wohne in der Nähe der Plaza de Armas neben der Municipalidad, dem Rathaus. Ich nehme ihn an die Hand, die er mir bereitwillig reicht, und wir zockeln los. Brauchen für den Weg von vielleicht 10 Minuten fast dreiviertel Stunde. Er hat was an den Füßen und läuft sehr langsam. Ich mache die Erfahrung, dass  körperliche Nähe für Peruaner selbstverständlich ist. Schnell habe ich eine Hand auf meinem Arm oder werde freundlich umarmt. So wird die Nähe bei der Blindenführung von Carlos ein enge, aber selbstverständlich vertraute Angelegenheit.

Gut, dass ich fast alle spanischen Worte von links, rechts, Vorsicht, etwas tiefer, Stufe, usf. drauf habe. Carlos, mit Nachnamen Córdoba, redet wie ein Wasserfall. 70 % kann ich eruierend verstehen. Er fasst schnell Vertrauen. Die letzten Meter bis zum Haus helfen Leute auf der Straße, die Carlos kennen. Sie zeigen mir das grüne Haus, in dem er mit seiner kranken Schwester wohnt. Carlos führt den Schlüssel ins Schloß und tastet sich in seine Casa. Gracias.  Hasta luego. Und tatsächlich, heute am zweiten Tag, wiederholen wir die Geschichte. Jetzt weiß ich ja, wo er genau wohnt.

Carlos Córdoba, 86 Jahre.

Der „Comedor“, Speiseraum für die Senjoren. Ich finde es aufwertend, dass jeder/m seine/ihre Suppe, sein/ihr Hauptgericht und sein/ihr Getränk an den Platz gebracht wird. Ein Zeichen von Respekt und Würde. Später höre ich aber auch, dass es eine pädagogische Maßnahme ist, jedem seine Portion zurechtzumachen. Die Leute packen sich sonst ihre Teller voll, weil sie immer zu wenig haben. - Jede/r bringt nur sein eigenes Besteck mit. Eine praktische Regel für die Küche. Ich höre später, dass die Verantwortlichen darauf achten, dass nur wirklich Bedürftige von diesem Angebot profitieren. Es gibt außerdem noch ein weiteres Angebot seitens der Stadt Nasca. Dort wird vermutlich nicht vor dem Essen gebetet - und vielleicht auch nicht am Tisch  bedient…

Hier die Küchenmannschaft mit Teresa mit ihrem gewinnenden Lächeln, Dezila rechts, der ich auch mal ein Lächeln abgewinnen konnte, und Mathilda links, die ab und zu erscheint und mithilft. Dezila, die Köchin, habe ich heute etwas überrascht mit der Frage, wie es ihr denn ginge. Entweder war ich zu direkt oder sie ist diese Frage nicht gewohnt. Aber mit einem gewinnenden Lächeln konnte sie sagen: bien!

Jeden Tag komme ich mit anderen ins Gespräch. Ich bin ja nicht geboren für Senjorenarbeit. Aber ich finde hier einige, die noch gesprächsbereit und - fähig sind. So wie hier Helena, 84 Jahre, die mir eine eingekaufte und eingepackte  Praline schenkt und immer wieder betont, dass sie nicht betteln würde, sondern für ihre Dinge gearbeitet hat. Ich frage, ob ich sie fotografieren dürfe, da setzt sie sich hin, ganz steif, mit geschlossenem Mund. Ich muss sie also überlisten und aus der Hand meine Schnappschüsse machen. Und dann wirkt sie lebendig und etwas offener. Sie erzählt von ihrem Sohn und drei Enkeln in Lima. Lebt aber hier in Nasca allein. Ich sehe sie mit einer anderen Frau zusammen herkommen. Sie ist immer gepflegt und hat die Ausstrahlung einer Dame aus besseren Kreisen. Aber wer hier zum Essen kommt, hat sonst keine andere Mittagsmahlzeit.

Mit Luis komme ich ins Gespräch, der mit seiner 91 jährigen Mutter im Rollstuhl herkommt. Offensichtlich pflegt er mit seinen 69 Jahren seine Mutter full time zuhause. Er erzählt von seiner Arbeit als „Theaterpädagoge“. Noch im Februar sei er in einer Schule gewesen mit seinem „Programm“. Er arbeitet mit seinen Marionetten, Handpuppen, („títeres“) mit Kindern und Jugendlichen und  versucht, Respekt, Lebendigkeit und Kreativität in ihnen zu wecken. Er zeigt mir Fotos von seiner Arbeit,  bewundert  Marcel Marceau, während ich ihm von Samy Molcho erzähle, den er aber nicht kennt.  Er  bringt tatsächlich am nächsten Tag seine selbstgebastelten Handpuppen mit.

Im Gespräch meint Luis, es sei wichtig für die Leute, dass ich hier sei. Ich widerspreche und sage „no hago mucho acá“ . Aber er meint, dass ich sie beim Essen bediene, mit ihnen spreche und meine Zeit mit ihnen verbringe, sei ein Geschenk. Ich lasse das mal so stehen und freue mich, diese Einschätzung von einem Peruaner selbst zu hören. Norbert hatte diese Sicht ja bereits mehrfach benannt. Aus dem Mund von Luis  klingt das gut. Auch wenn mir klar ist, dass ich mit meiner Präsenz hier keine Wunder wirke und nicht wirklich Not lindere. Aber vielleicht gibt es ja Dinge, die trotzdem hilfreich sind und den Menschen hier gut tun: Wertschätzung, Respekt und Begegnung auf Augenhöhe. 

Nicolas, 86 Jahre, kommt jeden Tag mit seinem Bruder Amadeo, der einen recht hinfälligen Eindruck macht. Sein Bruder geht gebeugt und scheint stark beeinträchtigt zu sein. Sein Essverhalten ist sehr eigenwillig. Ich weiß nicht, ob er überhaupt einen Löffel benutzt. Nicolas scheint für ihn zu sorgen. Er selbst sieht gepflegt aus und scheint gesundheitlich gut drauf zu sein.  Ist sauber gekleidet, geht aufrecht und hat ein freundliches Strahlen, das ich hier spontan einfangen konnte.

Mit Julia, 87 Jahre, komme ich leicht ins Gespräch. Sie hat etwas Verschmitztes, kann lachen, als ich ihr die Fotos von ihr zeige. Als wäre sie es nicht gewohnt, sich auf einem Foto zu sehen oder von einem anderen gesehen zu werden. Sie erzählt von ihrem Sohn in Arequipa und den beiden Enkeln. Aber sie sind eben eine Tagereise mit dem Bus entfernt. Sie ist gebürtig aus Cañete, nahe Pisco. Sie lebt hier in Nasca allein und kommt mit ihrer Gehhilfe offensichtlich irgendwie allein zurecht. Von ihr reicht nicht nur ein Foto. Ihren tiefen Blick und ihre Lebensbejahung möchte ich nach Europa schicken.

Abschied vom Comedor San Francisco, Nasca.

Heute am Samstag, 13.7.24, gehe ich zum letzten Mal in den Comedor. Ich bin überrascht über die große Zahl der Besucher. Einmal finde ich in der Küche eine Gruppe von 6 Helfern vor. Teresa ist nicht dabei. Sie ist im Garten und räumt dort auf. Dizela, die andere Köchin, ist gar nicht da. Dann ist der Comedor voller Senjoren, Gesichter, die ich nicht kenne. Erklärung: der staatliche Comedor hat Samstags geschlossen, daher kommen einige hierher. Und es ist der Samstag im Monat, an dem eine der Freiwilligengruppen der Gemeinde für den Comedor sorgt. Heute ist es der Rotary-Club con Nasca. Man höre und staune. Teresa raunt mir zu, ich brauche nicht zu bedienen, das macht die Gruppe der Rotarier alles selbst. Sie fragen mich auch direkt, was ich hier mache und ob ich hier nur essen wolle. Ich muss mich schon rechtfertigen. Insgesamt erlebe ich einen anderen Stil. Statt des Tischgebetes gibt es eine Bibelauslegung und statt der einfachen Bedienung gibt es einen Bibelquiz. Es geht schon recht missionarisch zu. 

Trotzdem bleibe ich und setze mich zu den inzwischen bekannten Adultos Mayores. Luis hat tatsächlich seine Gitarre mitgebracht und seine Títeres, seine Handpuppen. Er hat sich durch mich motiviert gefühlt und fordert mich auf, ein paar Worte zu sagen. Dann legt er los mit seiner ungestimmten Gitarre. Es wird eine Frontalveranstaltung, in der er mehr sich produziert als mit den Zuhörern und Zuschauern in Kontakt geht. Aber alle applaudieren brav. Und ihm, Luis, geht es besser.

Irgendwann nach dem Essen verabschiede ich mich von TeresaHelena, Carlos, Pedro, Luis, Nicolas, Rosa, Julia und denen, deren Namen ich gar nicht weiß. Mir kommt eine Herzlichkeit entgegen, die mich verblüfft. Helena sagt: que pena - wie schade. Wünscht mir eine gute Reise. Julia drückt mich und gibt mir ein Lachen mit auf den Weg. Luis umarmt mich intensiv, Pedro und Rosa wünschen mir alles Gute und Nicolas strahlt noch einmal. Ich sage, dass ich mit meiner Tochter am nächsten oder übernächsten Samstag noch einmal  vorbeikommen will. Sie laden herzlich ein und freuen sich schon. Auch Teresa fragt, ob ich mit meiner Tochter wiederkomme.

Was ist passiert? Was haben sie in mir gesehen? Was haben sie  von mir bekommen, das sie derart reagieren? Ist es  peruanische Herzlichkeit, die viel mehr vom Herzen her lebt ? Oder waren sie froh, dass sich jemand von so weit her für sie interessiert hat? Oder fanden sie den großen, grauhaarigen „Kellner aus Alemania“ einfach sympathisch? Oder projizieren sie etwas auf mich, was ich gar nicht bin?

Vielleicht von jedem etwas. Oder bin ich wieder zu deutsch und will alles analysieren?

Habe ich ein Problem damit, dass sie einfach (und) dankbar sind und mich in ihr Herz geschlossen haben? 

Pedro, der 6 Jahre in Brasilien gelebt hat und Diakon war. Er ist mit seiner Frau Rosa täglich hier.

Ich würde ihn Dr.Schiwago nennen. Er war sehr introvertiert und ich habe seinen Namen nicht erfahren. Aber seine Gesicht war so ausdrucksstark.

Die Mutter von Luis, dem Puppenspieler. 91 Jahre, im Rollstuhl und sehr schweigsam . Das Bild lügt, sie war sehr introvertiert und ist kaum in Kontakt gegangen. Ließ sich aber begrüßen und konnte dann lächeln.

Hier habe ich einmal die Schwester von Carlos eingefangen. Sie scheint unter Morbus Bechterew zu leiden und läuft immer gebeugt durch die Straßen.

Direkt hinter Pedro steht seine Frau Rosa. Sie hat immer so schnell gesprochen, dass ich es aufgegeben habe, alles zu verstehen.

 

Am Schluß noch ein Bild von Gladiz, der Verantwortlichen für den Comedor. Auch sie kann sich herzlich von mir verabschieden. Sie ist „Profesora“ an der Schule, der Primaria, glaube ich. Wenn sie vor den Leuten steht und das Tischgebet anstimmt, kann ich mir sie gut vor einer Schulklasse mit einer Meute Kinder vorstellen - die sie alle im Griff hat. Sie ist die freundliche Mutter der Kompanie, sie verwaltet auch die Kleiderkammer, wo ich ein paar Kleidungsstücke von mir lassen kann, die nicht mehr zurück nach Alemania müssen, und ihr kann ich auch eine Spende geben für das Essen, das ich in dieser Woche hier mitbekommen habe. Aber auch sie bestätigt mir, dass es ein Dilemma ist, in Peru alt und arm und allein zu sein.

 

Am Samstag, 20.7.24, besuche ich mit Myriam den Comedor. Die Senjoren +bertragen ihre Sympathie sofort auf sie und kommen ins Gespräch. Es ist wieder umwerfend, mit welcher Freundlichkeit und Nähe sie uns begegnen. Wir lernen noch Aida kennen, die Myriam ihre Lebens- und Leidensgeschichte erzählt: dass sie Epileptikerin sei und jeden Augenblick einen Anfall bekommen könne. Da asei schon oft passiert, sodaß die Leute sich daran gewöhnt haben, einen Krankenwagen zu rufen. Sie ist helle und fragt, was so ein Flug von Alemania nach Peru kostet. Und wir fühlen uns peinlich berührt, diese hohe Summe nennen zu müssen. Aber außer Staunen kommt keine Bewertung oder gar Verurteilung. 

Aida hält Myriams Hand und umarmt sie herzlich zum Abschied. Ein wacher Blick und ein interessierter Geist! Dann meint Luis, der Puppenspieler, er müsse noch eine Abschiedsrede halten und motiviert Pedro dazu, auch noch eine Rede über die Entstehung des Comedors zu halten. Aus dem Stand mal eben. Dann klatschen alle als Dankeschön fürs unsern Besuch. Plötzlich erscheint Gladiz (vermutlich hat Teresa sie angerufen) und schenkt uns einen Sack frisch gepflückte Apfelsinen vom Baum aus dem Garten. Es gibt kaum etwas süßeres und saftigeres als dieses frischen Naranjas!

Natürlich halten wir auch noch eine Dankesrede. Myriam zuerst, dann erzähle ich, wieviel Menschen ich hier mit Namen kennengelernt habe und zähle alle auf. Woraufhin noch eine Frau auf mich zukommt und sagt: und ich bin Angela! (Mit Cappy und blauem Tshirt) und drückt mich zum Abschied.

Abschied von Manuel und Roosevelt.

Heute (3.7.).haben Manuel und Roosevelt ihren Job vorerst erledigt und fahren zurück nach Arequipa. Sie haben über dem ganzen Anwesen, d.h. über den 5 Häusern und dem Versammlungsplatz  einen Sonnenschutz gezogen. Er muss die Dächer der Häuser und den Versammlungsplatz (unter freiem Himmel) vor der Sonne schützen. Sonst hält man es hier in Nasca nicht in den Zimmern aus, die durch die dünnen Wellblechdächer kaum vor der Hitze geschützt sind. Die beiden haben akrobatische Leistungen vollbracht und vom Einmauern des Ständerwerkes, über die Schweißarbeiten bis zum Festzurren der Sonnenplane gute Arbeit geleistet. Es war ein herzlicher Abschied von Männern mit Herz!

Das Seil zum Sichern hatten sie immer dabei. Ich habe sie aber nie gesichert gesehen…

Norbert meint, das hätte jetzt was von einer Kirche mit Turm…


Jordi, ein Mitarbeiter aus dem Supermercado MÁSS mitten in Nasca kommt seit gestern (3.7.) zu mir zum Deutschunterricht  . Norbert hat ihn erst vor kurzem beim Einkauf im Mercado kennengelernt und von seinem Wunsch, besser Deutsch lernen zu wollen, erfahren. So hat Norbert, der Beziehungs-vermittler, mir die Telefonnummer von Jordi gegeben und ich  habe ihm eine WhatsApp geschrieben. Er ist sofort am nächsten Tag gekommen,  hochmotiviert, hat bereits ein paar Monate im Eigenunterricht und 3 Monate digital über ein Institut begonnen, Deutsch zu lernen. 27 Jahre alt möchte er gern nach Deutschland zu einem Freiwilligen Jahr. Er ist engagiert dagegen, daß ich den spanischen Eroberer Pizarro für einen Räuber und Mörder halte. Jordi ist überzeugt, dass die Conquistadores mit der christlichen Kultur die archaischen Strukturen der Inkakultur überholt haben. Ich bin überrascht und verwundert, akzeptiere aber, dass er - offensichtlich sehr religiös - seine Glaubensbasis verteidigt. Inzwischen treffen wir uns fast täglich eine Stunde und gestern fragte er, ob wir uns auch weiterhin digital treffen können, wenn ich nicht mehr in Nasca bin. Wenn er nicht motiviert ist !

Samstag, 06.Juli 24.              Thermalquellen im Niemandsland

Wir haben Zeit und Norbert gönnt mir einen Ausflug in die Thermalquellen von Roquillo. Sie liegen eine Stunde von Nasca entfernt am Ende eines fruchtbaren Tales. Nach 3/4 Stunde fahren wir durch ein Dorf, das aus nur wenigen Häusern besteht. Aber fast 30 Männer und Frauen arbeiten, befestigen die Straßé mit Schotter und machen Gemeinschaftsarbeit für das Dorf. Nicht nur weil hier am 20. ein Fest stattfindet, sondern weil es üblich ist, in regelmäßigen Abständen Arbeiten für die Dorfgemeinschaft zu verrichten, Wer nicht kommen kann, muss einen Obulus zahlen. Hier geben wir auch 10 Soles ab für den Eintritt in das Thermalbad. Denn vor Ort ist niemand. Kein Café, keine Cocktailbar und auch kein anderer Besucher.

Es gibt drei Becken mit ca 30 grad warmem. Wasser. Der Vormittag ist ein Eintauchen in fast unberührte Natur. (Die Becken sind von den Dorfbewohnern an der heißen Quelle angelegt worden. Und sie werden von ihnen gepflegt und gereinigt). Weil das Wasser nicht so heiß ist, können wir es gut 1 Stunde darin genießen.

Sonntag, 07.Juli 24.          Besuch in San José de Marcona.

Irgendwie haben wir Ausflugswochenende. Aber nicht nur. Denn in San Juan de Marcona, bekannt durch seine Felsformation, die aussieht wie ein Elefant, besuchen wir den Gottesdienst. Da ein Priester vor Ort ist, machen wir die Band und sorgen mit 2 Gitarren und zwei Männern aus der hiesigen „Band“ für die Musik. Die Leute klatschen sofort im Rhythmus mit. Ein lebendige Geschichte. 

Dann fahren wir nach dem Fischessen in Marcona zum Elefanten und zur Playa de Loberas (Strand der Seehunde). Die sehen wir zwar nicht, aber dafür eröffnet sich mir ein Paradies für Fotoobjekte. Die kann ich nicht für mich behalten.

Zuerst natürlich zum Elefanten.

Und bei den folgenden Bildern fühlten wir uns an Caspar David Friedrich erinnert.

Das nebelähnliche Wolkenband am Horizont war nicht gemalt!

Den Mönch von CDF haben wir natürlich nicht am Meer gesehen.

Nach jedem Schritt veränderten sich die Perspektiven und entwarfen neue Bilder.

Die Chinesen haben den ganzen Ort MARCONA gekauft inkl. Strand und betreiben hier eine Mine (Erz, Kupfer). Marcona ist ein Ort voller Arbeiterunterkünfte und hat wenig eigenes Flair. Und zu allem haben die Chinesen eben auch ihren Windpark an den Strand gestellt. Warum die Peruaner sich das alles aus der Hand nehmen lassen…? Aber wir Deutschen verkaufen ja auch den halben Hamburger Hafen an China.


In Lima - Montag, 15. - Mittwoch 17.Juli 24

Fahre nach Lima, um Myriam am Mitwoch in Empfang zu nehmen und um meine Bronchitis ärztlich untersuchen zu lassen.Wohne in San Juan de Lurigancho, in Norberts Wohnung mit Miguelangel und habe von hier aus Aus- und Einblicke in diesen Stadtteil, der als arm und gefährlich gilt unter den Bewohnern von Lima. Außerdem, sagt mir Miguelangel, sei er der größte Stadtteil einer Millionenstadt wie Lima. Eigentlich eine eigene Stadt. Aber auch eine Stadt, die sich ihre eigenen Bebauungsregeln gibt.

Miguelangel sagt, für die Menschen sei die Alternative, hier oben am Hang zu wohnen oder unten an der vielbefahrenen und dreckigen Straße. Sie ziehen offensichtlich die Höhe vor, auch wenn es wohl Strom, aber nicht unbedingt Wasser gibt.

Die Straße, in der Norberts Wohnung (links neben der blau gelben Haus) liegt. 5 Minuten vom Straßenmarkt entfernt.

Alle diese Fotos sind aus der Metaperspektive gemacht. Aus großem Abstand. Keine Gesichter oder Häuserfronten aus der Nähe. So sehen wir sie aus Europa. Aber als ich um 17:00 noch einmal raus durch die Straßen gehen will, sagt mir Miguelangel: no toma fotos en la calle. Mach keine Fotos auf der Straße mit deinem Handy. Sicherheitshalber. Daher kann ich nur Fotos aus dem Abstand zeigen - sicherheitshalber.

Suchbild: Und immer wieder gibt es Menschen zu sehen in diesen Trümmern, zwischen denen die Wohnungen sind. Angeblich gibt es eine Baubehörde, die diese Wohnungen abnimmt und den Wohnungsbau kontrolliert. Ich habe von Anni und Yoli etwas anderes gehört.Und auf den Fotos macht es nicht den Anschein, als gäbe es hier eine Stadtteilplanung.

Und im Dunkeln sieht alles wie Weihnachten aus.

Am Mittag dann hören wir in unserer verlassenen Straße plötzlich Kommandotöne: es ist heute wohl allgemein der Tag der „Colegios“, der Schulen, die sich auf den Nationalfeiertag am 28.7. vorbereiten. Die Vorbereitung besteht in der Einübung der richtigen Marsch-Bewegungen. Der Staat versucht wohl auf diesem Weg ein Nationalgefühl zu stärken schon bei den Jüngsten. Auch in Cusco hatten wir gesehen, dass Junge wie Alte marschierend an den Umzügen teilnehmen. Wenn die Nationalhymne gespielt wird, wie heute morgen auf der Hauptstraße in SJL, bleiben alle Lehrer, Polizisten und Schüler stehen und legen die Hand aufs Herz. Der Staat ist korrupt und marode, aber lenkt mit diesen Ritualen von seiner inneren Leere ab. Oder gibt er tatsächlich bei aller Armut ein Stück Solidarität untereinander und Identifikation mit dem größeren Ganzen? Wenn sein Bildungsauftrag sich allerdings in Ritualen erschöpft, wundert es mich  nicht, dass seine Jugend das Land nur noch verlassen will…so wie Miguelangel.

Schuluniformen sind verpflichtend , was ja nicht verwerflich ist. Aber sogar die Zöpfe der Mädchen und die Frisuren der Jungen sind vorgeschrieben. Da geht mir der Arm des Staates doch zu weit, während die Polizei mit einem Aufgebot an machtvoller „Fuerza“ für die Sicherheit sorgt. Manche wünschen sich das ja auch bei uns wieder. Möchten wir das?

S.o. Ergänzung Comedor mit Myriam.

Mittwoch, 17.7.24 Ankunft Myriam in Lima

Donnerstag, 18.7.24

-Fahrt nach Paracas und

-Bootsfahrt zu den Insel der Seehunde, Pinguine und Tölpel, Anschl.

- Fahrt ins Naturreservat mit Blick auf die Wüste, den Strand und die Speisekarte eines leckeren Fischrestaurants.

Pinguine und Paracas-Tölpel

Von Paracas aus fahren wir nach Ica zur Wüstenoase Huancachina.

Und zur Weinprobe auf das Weingut TACAMA

Kurze Erholung in Nasca

Ab Montag, 22.7.24 geht es nach Pauza in die Berge zur jährlichen Fiesta des Apóstol Santiago.

Wir haben Luis als Fahrer engagiert (Norbert stellt uns sein Auto zur Verfügung). Ein Fahrer klingt nach Luxus, aber bei 10 Stunden Fahrt durch Serpentinen und Bergstraßen ist ein erfahrener Fahrer und Monteur echt hilfreich. Nachdem wir ihm klargemacht haben, dass wir nicht im Eiltempo durch die Berge rasen müssen, fährt er auch echt angenehm und umsichtig für die drei Beifahrer: Herbert, ein amigo von Norbert, ein 67 jähriger netter Schweizer, Myriam und ich.

Wir nutzen das eigene Auto für einen Abstecher von der Panamericana zum Walfischmuseum. In diesem trockenen Sandboden haben sich einige Walknochen und andere Tiere gut erhalten. Es macht so demütig, wenn man vor einem Skelett steht, das 10 Mio Jahre alt ist.  Ich bin motiviert, mir ein Walfischzähnchen als Umhänger zu kaufen: 6 Mio Jahre alt. Wie jung ich doch bin und wie relativ unser Zeitgefühl.

Gut vorstellbar, dass hier Meeresboden war vor Mio Jahren.

Nach 3 Stunden machen wir in Chala Pause, essen Fisch am Strand und machen einen kurzen Besuch bei Padre Benito und Padre Lino, die ich im April für einige Tage besucht hatte. Dann geht es durch die Berge von 12:00 bis 18:00! Mühsam und anstrengend. 

Und am Abend sitzen wir (Myriam, Herbert, Luis, der Fahrer, und ich )  bei Evelyn (Mitte), ihrem Sohn, ihrer Cousine und ihrer Mutter im Haus, werden herzlich empfangen und bekommen alle ein Bett. Wir sind so geschafft von der langen Fahrt, dass wir ohne große Umstände einschlafen.


In Pauza 24. - 26.7.24


Hier sind wir mitten in der Fiesta des Dorfes angekommen. Es ist das Fest des Jahres: Fest des Apostels Jakobus (Santiago) am 25.7.. Alle Familenmitglieder kommen aus aller Welt nach Hause, um dieses Fest mitzufeiern. Organisatorisch wird ein „MAJOR DOMUS“ bestimmt, der - ein Mal in seinem Leben - das ganze Fest bezahlt. Manche nehmen dafür einen Kredit von bis zu 100 000 Soles auf. Dass das Fest einen religiösen Rahmen hat (es gibt jeden Tag eine Misa) , ist eher Tradition und gibt dem ganzen Spektakel eine Form. Aber was hier passiert, sind eigentlich Rituale, die die Gemeinschaft feiern und ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm bieten: es gibt 3 Musikkapellen, die immer irgendwo spielen und die Leute zum Tanzen auf der Straße einladen. Es gibt jeden Tag irgendwo freies Essen und Trinken. Ab 4:00 laufen Trommler jeden Morgen durch den Ort. Schon in der Nacht werden Salutböller abgefeuert. Irgendwo knallt es immer. Auf der Plaza gibt es am 2.Abend  ein Riesenfeuerwerk, das sich mit deutschen Maßstäben messen kann.  Und natürlich wird am Höhepunkt des Festes die Statue des Jakobus auf einem geschmückten Gestell durch die blumenbedeckten Straßen getragen.

Ich werde das nicht alles präsentieren und kommentieren. Man muss es mögen und man muss dazugehören. Als Zuschauer wirkt alles etwas fremd. Für die Leute hier ist es ein Superfest. Man sieht, mit welcher Freude und Begeisterung sie dabei sind und was es ihnen bedeutet. Und diese Freude werde ich ihnen nicht madig machen. Sie feiern sich selbst, ihre Stadt, ihre Geschichte und ihre Familien.

Dass viel Alkohol im Spiel ist, kennen wir ja von Schützenfesten oder Gemeindefesten ebenso. Man kann hier schon morgens um 7:00 die ersten Betrunkenen antreffen…

Aber ist es ein Fest, auf das sich alle das ganze Jahr über freuen. Und in einem so abgelegenen Bergdorf ohne WLAN ist diese Abwechslung oder Ablenkung ein echtes Highlight.

Der Major DOMUS und die Musik vor der Bergkulisse des Dorfes.

Hier die 87 jährige Mutter von Evelyn, die immer noch den Ton angibt.

Sie steht ab 5:00 morgens an der Straße und mischt einen warmen Ponchetee. Es steht aber auch Rum und Pisco auf dem Tisch. Mich schaut ein freundliches Gesicht an mit einen sympathischen Lachen.  Ich bekomme einen „Ponche Aleman“, wie er hier offiziell heißt: mit einem Schuß Pisco (spezieller peruanischer Obstler). Und wenn das Glas drei viertel getrunken ist, wird pisco nachgeschenkt…

Während wir auf das nächste Spektakel warten, ergibt sich der eine und andere Kontakt.

Wir nutzen unsere Zeit, um die Gegend zu erwandern (mit Blick auf den 5500 m hohen SaraSara). Die Thermalbäder in der Nähe mit bis zu 38 Grad heißem Grundwasser sind eine gute Möglichkeit, zu entspannen und in Kontakt zu kommen.

Aber am Abend um 22:00 geht das Licht Spektakel los und das ganze Dorf hat sich eingefunden. 

Donnerstag, 25.7.24

Heute ist das eigentliche Fest des Heiligen Apostels Jakobus, Santiago in Spanisch. Die Kirche ist voll besetzt. Die Leute kommen in Festtagskleidung. Hinten steht die Heiligenstatue: ein reitender Santiago, der einen Muslimen erschlägt. Eine furchtbare Statue mit einem unsympathischen Gesicht. Sie geht auf die Spanier zurück, die unter dem Schutz des Santiago den Einfall der Muslimen in Europa im 16.Jh. aufhalten konnten. Ich habe die Predigt nur kurz mitangehört. aber eine Aktualisierung dieses heiligen kam nicht vor. Nur das Predigen über Wert und Bedeutung von Familie, Partnerschaft usf, alles Dinge, von denen diese Priester von Pauza, die mit schwarzen Röcken (Soutanen) über die Straßen des Dorfes laufen, nicht viel verstehen. Sie sind im Dorf nicht gut gelitten. 

Wichtiger scheint das anschließende Essen im Kreis der Großfamilie zu sein. Evelyns Familie ist aus ganz Peru angereist. Wir sind herzlich eingeladen, im Restaurant mit ihnen zu essen und anzustoßen. Eine herzliche Stimmung. Wir fühlen uns aufgenommen. Paulo, der 28 jährige Sohn von Evelyn, der in Lima Handyspiele entwickelt, ist ein aufgeschlossener sensibler Gesprächspartner. Er nimmt sich Zeit für uns und hat mit Myriam viele Themen, die sich überschneiden.

Die Vorliebe der Peruaner an Prozessionen mit ihren Heiligenstatuen zeigt sich auch hier in Pauza. Um 17:00 ziehen sie von der Kirche aus los durchs Dorf. Um 21:00 kommen sie endlich wieder in der Kirche an. Ihre Ankunft ist die Freigabe des Feuerwerks und der Castillos, eines Bambusgerüsts mit vielen integrierten Feuerwerken. Und danach dann: die 5 oder 6 Musikgruppen, die einheizen und zum Tanzen auffordern. Höhepunkt der Auftritt von Amantara, einer offensichtlich international bekannten peruanischen Sängerin, die zudem aus Pauza stammt. 

Was uns berührt, ist die Geduld, mit der die Menschen auf der Plaza auf das Feuerwerk und den Konzertbeginn warten. Nur eine kleine Gruppe begleitet die Prozession. Die Meisten sichern sich einen Platz vor der Bühne und dem Feuerwerk. Auch unsere Abuelita, die Oma unseres Hauses. Und sie bleibt bis Mitternacht mit ihren 87 Jahren.

Wir gesellen uns um 18:00 dazu. Aber bis mal das Spektakel beginnt, wird es 22:00!

Es bleibt ein Riesenfest. Der Aufwand des Feuerwerks in diesem überschaubaren Bergdorf kann sich mit den Feuerwerken des Essener Grugafestes messen. Die Kosten für 6 Musikgruppen dürften ins Unüberschaubare steigen. Was für eine Bedeutung drückt dieses Fest aus? Wie oben bereits ausgesprochen: Pauza feiert sich, die Gemeinschaft, die Familie. Auch wenn die Jugendlichen die Misas nicht besuchen, sie kommen zum Fest!

Das anschließende Konzert ging wohl bis um 4:00 morgens. Die berühmte Amaranta hat eine halbe Stunde gesungen und war dann wieder weg. Aber dafür sind Leute über Stunden (aus Chala sind es 6 Stunden) angereist.

Aber irgendwann geht es auch für uns zu Ende. (Herbert hat sich entschieden, noch ein paar Tage zu bleiben und mit Paulo zu wandern.) Für uns ist es der  Abschied von Evelyn und ihrer lieben Familie. Sie haben uns wirklich viel Einblick gewährt in ihre Familie und auch in die Geschichte dieses Festes. Wir hätten vieles nicht verstanden oder zuordnen können. Das ist eben das Geschenk des unmittelbaren Kontaktes, der einem normalen Touristen nicht unbedingt gewährt wird. Am Freitag morgen fahren wir mit einem übermüdeten Fahrer Luis (er hat mich um 3:00 aus dem Bett geholt, um ins Haus kommen zu können) los. Nach gut 8 Stunden im Camioneta durch Serpentinen und schließlich über die Panamericana sind wir heil in Nasca angekommen . Wieder „Zuhause“.

V.l.n.r.: Paulo, Abuelita, Evelyn, Myriam, Hartwig, Herbert, Cousin N.N.

Von Nasca aus bedanken wir uns noch einmal bei Evelyn und ihrer Familie. Evelyn Antwort ist bezeichnend:

Nos alegra mucho a verlos tenido en casa compartiendo las costumbres de nuestro pueblo y en Lima nos vemos.

Es freut uns sehr euch bei uns zuhause gehabt zu haben und mit euch die Gewohnheiten unseres Dorfes teilen zu dürfen. Wir sehen uns in Lima.

Später hören wir, dass die Familie sich über uns austauscht und die guten Spanischkenntnisse von Myriam hervorhebt. Auch sind die Tattoos, mit denen Myriam gekommen ist, immer wieder gerade unter den jovenes Thema gewesen. Denn Manga-Figuren kennt man weltweit. Da konnte jeder Peruaner mitreden und ins Gespräche gehen. Zumal Paulo in der IT-Spielentwicklung tätig ist. Ich fand es spannend, wie Handyspiele global eine Vernetzung schaffen !

Dann kommt der Abschied von Nasca, nachdem die Koffer für die Woche in Cusco und Puerto Maldonado gepackt sind. Zum „Last supper“ gibt es „Linguine Carbonara“ . Dann ein letztes Schlendern durch das Örtchen und ein letzter Sonnenuntergang auf der Dachterrasse.

 

Wir behalten beide Nasca in guter Erinnerung. Myriam gefällt der übersichtliche Ort mit seinem Mercado, den vielen Früchten und Gemüsesorten ebenso wie mir. Es ist ein Ort, in dem man keine Angst haben muss (außer eine gewisse Vorsicht vor Hunden). Ich habe hier mit den lieben Gewohnheiten von Norbert und Jesus ein gutes Zuhause gefunden. Danke!

Norbert ist bereits in Lima, da er dort in der deutschen Gemeinde aushilft. Ihn treffen wir nächsten Sonntag in Miraflores.  So verabschieden wir uns nur von Abel, dem freundlichen Chef der Baustelle, von Jesus, und von Bella, der schmusigen, quirligen Hündin und den beiden (Schmuse-) Katzen Yin und Yang.

In Cusco und Puerto Maldonado - s.August